Auf dem kleinen Pfad zwischen Abgrund und Fülle
(oder zwischen Tod und lebendigem Atem - denn es gibt auch den toten Odem, lausche!)
traf ich Dich. Und ich kann nicht sagen, was es
ist, das mir den Blick -
nahezu adriatisch - auf den unendlichen Punkt vorn zwingt.. oder
was es benennen würde... doch es ist in Dir.
Wenn die Todgeweihten die Zukunft verteidigen, dann ist Nemesis das Geschenk;
und Du, mein Gebieter, trägst es im Herzen gleich einer Rose.
Rubrik: Stigmata
TheSource - 25. Apr, 22:47
Ysaj hatte den Brief nie abgeschickt. Er schlief in einer Schublade und dämmerte nach dem Umzug auf dem Dachboden, inmitten von vergessenen Andenken, zwischen Bändern, Kerzen und Ölfarben, die in ihren Tuben vertrockneten. Eine Motte starb in ihm einen Ysop-getränkten Tod, nach Jahren noch war der Duft versiegelt in den Buchstaben, hielt sie lebendig und wartete darauf, sie aus dem Gefängnis des Umschlags zu entlassen.
Ich denke, ich werde Dich eines Tages hassen. Im Traum sah ich mich; ich war eine Stadt an der Küste, die Einschläge der Artillerie zerrissen das Glas meiner Fenster, das in alle Richtungen barst. Sogar auf den verminten Feldern waren die Scherben. Jedes Mal, wenn ich hoffe, wenn wir beisammensitzen, wenn wir dieses endlose Schweigen hätscheln, meißelt sich ein neues Stück der Inschrift in mein Buch: Ich werde Dich eines Tages hassen.
Rubrik: Ulmenjahr
TheSource - 23. Apr, 13:27
HÜTE DICH VOR DETAILS
Der kroatische Schriftsteller Miljenko Jergovic
»Der Krieg hat mich gelehrt, Gefühle und Nerven künstlich ruhig zu halten. Wenn einer anfängt, von irgendwelchen Sachen zu erzählen, die mich besonders mitnehmen könnten, geht irgendwo in meinem Innern ein rotes Lämpchen an, wie jenes, das Geräusche bei der Aufnahme wegfiltert, und ich empfinde nichts mehr« Die Geschichte "Der Kaktus" aus dem Band Sarajevo Marlboro erzählt von einem merkwürdigen Geschenk, das die Freundin des Ich-Erzählers ihrem Liebsten zum Neujahr 1990 macht; ihm, der Pflanzen im Zimmer hasst. Zu seiner eigenen Überraschung wird das stachlige Präsent zu etwas, das er hegt und pflegt. Als die Kaktusschenkerin kurz nach Kriegsbeginn in Sarajevo die Stadt verlässt, steigt der Zurückgebliebene regelmäßig aus dem Bombenkeller in die Wohnung, um den Kaktus zu gießen, bis er ihn, bei Frosteinbruch, in den Keller nimmt. Dort geht er ein. »...wenn ich an den Kaktus denke,« schließt die Geschichte, »hilft gar nichts. Er ist wie ein winziges Derivat der Trauer, nur scheinbar ungefährlich, eine bittere Mandel Zyankali ... Aber die Sache ist nicht so wichtig, außer als Mahnung, dass man sich im Leben vor Details hüten soll. Und vor nichts anderem.«
Sich vor Details hüten. Ein Credo, das, freilich mit umgekehrten Vorzeichen, als Leitsatz der Geschichten des bosnischen Kroaten Miljenko Jergovic gelten kann. An Details hängt er seine Geschichten auf. Details enthalten ganze Geschichten. Ein Kaktus, ein Ring, eine Zigarettenschachtel. Oder, in einer anderen Geschichte, ein Apfelbaum, üppig tragend wie nie in dem Jahr, als er den Tschetnik-Stellungen gegenüber steht; der Apfelbaum, den die Nachbarn des Erzähler-Ichs nicht anzufassen wagen, obwohl er bei ihnen ins Fenster wächst, dorthinein, wo sie an Verwundungen und Verleumdungen ihrer Umgebung langsam vor sich hinsterben.
Miljenko Jergovic ist 1966 in Sarajevo geboren. Schon als Jugendlicher trat er schreibend an die Öffentlichkeit: Als kulturpolitischer Kolumnist in den verschiedensten Jugendmedien, mit kaum über 20 als Moderator einer eigenen Sendung, als Lyriker mit frühen Publikationen. 1990 wurde er ausgezeichnet mit dem Veselko-Tenzera-Preis als bester politischer Kolumnist Jugoslawiens. »Politisch schreiben damals und politisch schreiben heute, dazwischen liegen natürlich Welten«, beschreibt Jergovic´s kroatischer Verleger und Initiator der Gruppe 99, Nenad Popovic. »Die Politik hat uns erobert. Von ganz normalen Leuten sind wir zu Spezialisten für Völkermord geworden«. In Popovic´s Verlag Durieux begann der seit 1993 in Zagreb lebende Jergovic, seine Erzählbände zu publizieren: Sarajevski Marlboro (1994/dt. 1996), Karivani (dt. 1997) und Mama Leone (1998/dt. 2000). Zugleich wurde er »in Kroatien als frecher Kommentator der Tudjman-Politik zum enfant terrible« (Popovic) und zum Kolumnisten in verschiedenen Oppositionsblättern. Letzteres ist Jergovic immer noch, neben einer festen Anstellung bei der Zagreber Feral Tribune. Auch nach dem Krieg geht es um Krieg und Tod, denn Jergovic ist ein Erinnerer und Aufbewahrer, der desto genauer erinnert, je hastiger etwas ins Vergessen befördert werden soll. Man könne ihn einstellen als »Registrator verschwundener Völker und Verlage«, schreibt er nach einem Rundgang auf der Frankfurter Buchmesse in der FAZ.
Der Essayist und Kolumnist Jergovic ist im deutschsprachigen Raum nur sehr vereinzelt zu lesen. Im 2000 erschienenen Sammelband Verteidigung der Zukunft schreibt er über die Unmöglichkeit von Zukunft, solange »das Opfer Rache nimmt an seinem Henker.«
»MiloŠevic hat sein Volk nur deshalb auf Schlachtfeste geführt, damit dieses Volk selbst geschlachtet wird, nur deshalb, damit das ununterbrochene Töten seine einzige Existenzmöglichkeit wird. Indem er das tat, machte er es unempfindlich für den Schmerz, die Unempfindlichkeit für den Schmerz aber ist der vorletzte Akt des Untergangs.«
Auf dem Weg von Sarajevo Marlboro(1996) zu Mama Leone(2000) haben die Erzählungen von Miljenko Jergovic eine Haut abgeworfen, unter der das Erzählte noch unmittelbarer für sich spricht: Analyse oder Fazit sind überflüssig geworden. Mama Leone entwirft in seinem ersten Teil einen größeren Zusammenhang: Unter der Überschrift Als ich geboren wurde, bellte auf dem Flur der Entbindungsanstalt ein Hund sind 22 eng zusammenhängende autobiographische Geschichten zu einem Zyklus zusammengefasst.
Tod und Lüge sind auf tückische Art miteinander verschwistert, lernt das Kind, von dem uns Miljenko Jergovic hier erzählt. Erst sind die Menschen da und dann plötzlich weg, auf Nimmerwiedersehen, und alle pressen die Lippen zusammen und schweigen darüber. So geht es mit dem Großvater, so geht es mit den neugeborenen Kätzchen, denen Baka, die Großmutter, erst auf die Welt geholfen hatte, um sie danach in der Stille des Badezimmers, den Augen des Kindes entzogen, zu ertränken. So geht es mit dem Großonkel, der stirbt, bevor er dem Kind die versprochene Armbanduhr schenkt, und warum soll es dann nicht auch mit der Mutter so gehen, die zur Abklärung eines »Wündchens am Gebärmutterhals« nach Ljubljana fährt, wieder vom sorgenvollen, nur heimlich belauschten Flüstern der übrigen Familie begleitet. »Wündchen war ein kleines Wort, wie Autochen, Würfelchen oder Steinchen, aber es bedeutete etwas Schreckliches. Früher hatte es solche Worte nicht gegeben: Bis zu diesem Wündchen war alles Kleine harmlos und lieb gewesen, winzig für die Augen und lieb zum Ansehen, doch das war jetzt anders geworden ... Für meine kleinen Dinge und ihr Gutsein war das Ende gekommen: Die Welt würde sich nicht mehr in Diminutiven verstecken ...« Die Klarheit über Tod und Lüge und den Zusammenhang zwischen ihnen ist etwas, zu dem schon das Kind gelangt, das Jergovic in seinem ersten Buch nach Ende des Krieges erinnert. Ein Kind, vollgestopft mit verschwiegenem und verheimlichtem Tod, alt geworden vor seiner Zeit, und misstrauisch gegenüber allem Anfang. »Die Lüge ist lebendig, dachte ich, sie verschluckt die Dinge und kann alles anders machen als es ist.« Es ist keine schreckliche Kindheit, von der Miljenko Jergovic erzählt. In die Sprache der Verlorenheit ist die Sprache der Geborgenheit gemischt, untrennbar voneinander. Aber Jergovic, der Chronist der kleinen Dinge, schenkt seine Aufmerksamkeit jenen Momenten kindlichen Grauens, die die Erwachsenen lachend kommentieren: Ist doch nicht so schlimm! »War doch nicht so schlimm«, sagt man, groß geworden, selber. Doch, sagt Jergovic, jenseits von Verhärtung und Sentimentalität, doch, es war furchtbar schlimm. Und erzählt die kindlichen Schrecken als das, was sie sind, nämlich die Grundlage von Entscheidungen, wie einer in seinem Leben umgehen wird mit Angst und Wahrheit und Tod und seinen Nächsten. Nicht fertig werden, heißt die Botschaft, die man aus Jergovics Geschichten entnehmen kann. Jene Details aufsuchen, in denen sich Verletzbarkeit verbirgt.
»Who will be the witness« hatte das Motto über dem dritten »aus einer einzigen Geschichte bestehenden« Teil in Sarajevo Marlboro geheißen. Miljenko Jergovic ist in frühem Alter zum Chronisten von etwas geworden, das jenseits des Krieges Lebende nicht kennen; dennoch wird es immer wieder möglich, sich in seinen Geschichten wiederzuerkennen, jener Dokumentation von Momenten der verfehlten, der verlorenen, der ersehnten Empfindlichkeit.
(B.C./T.M.)
Miljenko Jergovic: Sarajevo Marlboro. Erzählungen. Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, Wien-Bozen 1996. 129 S.
Freimut Duve/Nenad Popovic: Hg.: Verteidigung der Zukunft. Suche im verminten Gelände. Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef und Detlev I. Olof. Folio-Verlag, Wien-Bozen 1999. 187 S.
Miljenko Jergovic: Mama Leone. Erzählungen. Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, Wien-Bozen 2000. 315 S.
TheSource - 20. Apr, 19:06
[Geschrieben in Eschen von Lilith.]
Henoch verließ Eden, nachdem er vom Baume des Lebens gegessen. Aus den Keimen, unter die Eschen geworfen, erhob sich der Tod und folgte ihm gleich einem Schatten.
[Prometheus I: The Lilith Files by Source, 2005]
TheSource - 20. Apr, 17:33
Du denkst immer noch.
Die Schatten des Geistes umwehen dich gleich einem Nebel, von dir ausgehaucht und eingeatmet.
Wenn du sagst "Persönlichkeit" so ist es immer noch das Ich. Das Du. Das Er-Sie-Es. Du haftest wie die Zunge am Gaumen des Lebens! Weiche!
Sie aber, die verstehen, machten sich zu Häufchen aus Asche in der Wüste. Denn auch der Wind ist dort ungeboren.
Rubrik: Tee mit Choronzon
TheSource - 20. Apr, 17:21
Sören überwachte ihren Schlaf mit einer Leidenschaft, die Ysaj an Männern fremd war. Am ersten Abend hatte er die Stufen aus dem Keller gleich einem Leoparden genommen, Ysaj auf dem Arm, beide noch verschwitzt und glänzend von der Sauna. Er presste sie mit einer solchen Intensität an sich, dass Ysaj seinen Herzschlag an ihrem Hals spürte, während er die Treppe hinaufglitt. Dann bettete er sie auf das Sofa, legte ihr weitere Handtücher um und schien gar nicht zu bemerken, welches Begehren er in ihr entfachte. Irgendwann war sie eingschlafen nach all den Gläsern Tonic Water und später Wein, dem Käse und den Weintrauben, Oliven und Erdbeeren, die er ans Sofa brachte wie an ein Krankenbett. Sören wollte alles wissen über den Kerker, wie er es nannte, vergrub sich in Ysays Erinnerung und ließ nicht ab, jede Einzelheit zu erfragen; er fragte nach Geräuschen, Farben und Düften, nach dem Glanz in den Augen und nach den Nächten. Sie aßen, tranken und redeten Stunden, bis Ysaj in einen Dämmerschlaf voll unerinnerter, unruhiger Träume glitt, deren Schweiß sich zäh mit jenem der Sauna vermischte und sie mitten in der Nacht ins Erwachen presste.
Es gibt dieses Aufwachen in ungewohnter Umgebung, die ersten Sekunden, in denen das Auge kein vertrautes Bild einfängt und nicht sicher ist, ob Schlaf noch anhält in einem Traum oder wir wirklich wach sind. Die Kerzen waren fast alle heruntergebrannt und warfen dünnes Licht, es roch nach Rotwein und kalten Zigaretten. Unmittelbar vor ihr saß Sören auf dem Boden, an den niedirgen Tisch gelehnt, ein Glas Wein in der Hand, und blickte sie stumm an; das Flackern der Kerzen prallte ab an seinen Pupillen, die ganz dunkel waren und ernst.
"Wie lange habe ich geschlafen?"
"Einige Stunden. Du sprichst im Schlaf".
"Wirklich? Was spreche ich denn?"
"Ich weiß nicht, ich kenne die Sprache nicht".
"Sören, wie spät ist es?"
"Nach zwei".
"Warum hast Du mich nicht geweckt? Und warum schläfst Du nicht? Bist Du denn gar nicht müde?"
"So viele Fragen, Ysaj".
Er zündete eine Zigarette an, die gänzlich in seiner Hand verschwand, reichte ihr sein Weinglas. "Trink".
Herb und kräftig öffnete der Wein die Tür in die Wachwelt. "Sören?"
"Schmeckst Du die Beeren? Johannisbeere und Blaubeere und eine Spur Tabak, etwas Tinte..". Ysaj trank.
Und dann, plötzlich, in das aufkommende Aroma der Johannisbeere hinein: "Ich mußte Deinen Schlaf bewachen".
Ob das Geheimnis ein Schachtelmännchen habe.
"Warum?"
"Ich weiß es nicht, ich mußte einfach".
"Ich schmecke die Johannisbeere".
"Ja. Ich auch".
Sie sprachen nicht mehr in dieser Nacht. Sören blieb sitzen und Ysaj schlief gegen Morgen wieder ein.
(Photography copyrighted)
Rubrik: Ulmenjahr
TheSource - 9. Apr, 09:59
Ach ja die Liebe
sich verrückend für den Geliebten
in duftende Gewänder.
Oh schau, oh schau.
Oder wie ein Geist, der umgeht.
Überall lauernd.
Wann immer du nicht denkst an
springt Liebe dich an.
Sag mir, du Göttin gewordene Menschenfrucht
Gibt es süssere Illusion als diese?
Du aber, die du Yog-Sothoth bist
Du hast es alles getan.
Darum weisst du nichts davon.
Rubrik: Tee mit Choronzon
TheSource - 7. Apr, 21:02