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„Du gehörst einer aussterbenden Spezies an“.
Sie sitzt vor Ysaj in ihrer lasziven Art, die Beine übereinander geschlagen, die Zigarettenspitze zwischen Daumen und Zeigefinger, ihr Blick verfolgt mit halb gesenkten Lidern eine imaginäre Ameise auf dem Tisch. „Sogar jeder Dir zugeordnete Avatar ist betroffen: Die Tiger sind bedroht, die Ulmen werden von einem Nichts von Borkenkäfer ausradiert….“.
Ysajs Haut ist kühl, außer in den Händen. Abstrahlende Hitze die pulsiert, wenn Ysaj ihren Unterarm berührt. Sie lässt ihre Hand auf ihm liegen, eine tröstliche Geste:
„Aber da sind noch die Pinguine“.
„Was ist mit den Pinguinen?“
„Sie brüten ihre Eier aus mitten im antarktischen Winter. Im Landinneren“.
„Eiswüstenbrüter. Das nenne ich Option!“
Der Kellner schenkt Weißwein nach. Italienischen. So gar nicht Eiswüste. Adriatische Sonne, goldgelb eingefangen von einem kleinen Mann mit Glatze, dessen Bild auf der Rückseite der Flasche zu sehen ist. Rebstöcke neben ihm. Keine Ulmen.
„Wie lange müssen die ihre Eier ausbrüten?“
„Ich weiß nicht genau, einige Wochen“.
„Sie hocken wochenlang auf einem Ei? Und dann auf dem Küken?“
„Nein, sie wechseln sich ab. Mit einem Partner, der Futter für beide im Meer jagt. Und umgekehrt“.
„Und wenn dem was zustößt ist die ganze Aktion dahin… Die Option wird immer grauenhafter. Das ist: jemanden brauchen – ist Dir das klar?“
Grauenhaft. Jemanden brauchen. Eiswüste. Wüste überhaupt. In die man flieht, weil man unter den Blicken der Vielen nicht lebensfähig ist, so immer beobachtet; weil das Stigma des Andersartigen dich verfolgt seit du denken kannst; mit bohrenden, begehrlichen Blicken, die deine Fremdheit, deine Nicht-Zugehörigkeit zusätzlich betonen; nicht den Geruch der Herde haben, nicht dazu gehören, nicht am Leben teilhaben, ihrem Leben, das sie über die ganze bewohnbare Ebene gebreitet haben, bis hinauf in die Berge, und in dem du nicht willkommen bist. Nur Dschungel und die Ulmen – und die haben sie auch schon unterworfen, da kannst du Tiger und Ulme nicht das letzte Fleckchen nehmen, es bleibt dir nur die Wüste. Das verstehst du aber nicht. Lange nicht. Du verkriechst dich unter ihnen und in ihnen, ein Fremdkörper ohne Leben, tot gestellt von dem, was Leben sein soll und nicht deines ist. Jeder Frühling reibt Salz in die Wunde; da ist es wieder, das Leben, das dir verwehrt ist. Darum ist dein Körper stürmisch im Herbst, übervoll mit Begehren. Darum liebst du den Winter, bist wehmütig, wenn er weicht, denn er ist Wüste. Eiswüste. Pinguinwüste. Darum liebst du jeden kalten März, jeden kühlen April, jeden Frost der dem Jahr etwas Leben abringt.
„Ja, jemanden brauchen. Niemand kann allein in der Wüste überleben. Zumindest nicht auf Dauer“.
„Und ohne Ehrenkodex geht gar nichts in der Wüste. Darum sind die Wüstenbewohner so stolz“, erwidert sie, eine Olive kauend. „Wie wohl ein Pinguincodex aussieht?“
„Haben denn verschiedene Wüsten jeweils einen anderen Codex?“
Sie zündet eine weitere Zigarette an, inhaliert tief:
„Ich weiß es nicht. Sag Du es mir“.
Rubrik: Ulmenjahr
Sie sitzt vor Ysaj in ihrer lasziven Art, die Beine übereinander geschlagen, die Zigarettenspitze zwischen Daumen und Zeigefinger, ihr Blick verfolgt mit halb gesenkten Lidern eine imaginäre Ameise auf dem Tisch. „Sogar jeder Dir zugeordnete Avatar ist betroffen: Die Tiger sind bedroht, die Ulmen werden von einem Nichts von Borkenkäfer ausradiert….“.
Ysajs Haut ist kühl, außer in den Händen. Abstrahlende Hitze die pulsiert, wenn Ysaj ihren Unterarm berührt. Sie lässt ihre Hand auf ihm liegen, eine tröstliche Geste:
„Aber da sind noch die Pinguine“.
„Was ist mit den Pinguinen?“
„Sie brüten ihre Eier aus mitten im antarktischen Winter. Im Landinneren“.
„Eiswüstenbrüter. Das nenne ich Option!“
Der Kellner schenkt Weißwein nach. Italienischen. So gar nicht Eiswüste. Adriatische Sonne, goldgelb eingefangen von einem kleinen Mann mit Glatze, dessen Bild auf der Rückseite der Flasche zu sehen ist. Rebstöcke neben ihm. Keine Ulmen.
„Wie lange müssen die ihre Eier ausbrüten?“
„Ich weiß nicht genau, einige Wochen“.
„Sie hocken wochenlang auf einem Ei? Und dann auf dem Küken?“
„Nein, sie wechseln sich ab. Mit einem Partner, der Futter für beide im Meer jagt. Und umgekehrt“.
„Und wenn dem was zustößt ist die ganze Aktion dahin… Die Option wird immer grauenhafter. Das ist: jemanden brauchen – ist Dir das klar?“
Grauenhaft. Jemanden brauchen. Eiswüste. Wüste überhaupt. In die man flieht, weil man unter den Blicken der Vielen nicht lebensfähig ist, so immer beobachtet; weil das Stigma des Andersartigen dich verfolgt seit du denken kannst; mit bohrenden, begehrlichen Blicken, die deine Fremdheit, deine Nicht-Zugehörigkeit zusätzlich betonen; nicht den Geruch der Herde haben, nicht dazu gehören, nicht am Leben teilhaben, ihrem Leben, das sie über die ganze bewohnbare Ebene gebreitet haben, bis hinauf in die Berge, und in dem du nicht willkommen bist. Nur Dschungel und die Ulmen – und die haben sie auch schon unterworfen, da kannst du Tiger und Ulme nicht das letzte Fleckchen nehmen, es bleibt dir nur die Wüste. Das verstehst du aber nicht. Lange nicht. Du verkriechst dich unter ihnen und in ihnen, ein Fremdkörper ohne Leben, tot gestellt von dem, was Leben sein soll und nicht deines ist. Jeder Frühling reibt Salz in die Wunde; da ist es wieder, das Leben, das dir verwehrt ist. Darum ist dein Körper stürmisch im Herbst, übervoll mit Begehren. Darum liebst du den Winter, bist wehmütig, wenn er weicht, denn er ist Wüste. Eiswüste. Pinguinwüste. Darum liebst du jeden kalten März, jeden kühlen April, jeden Frost der dem Jahr etwas Leben abringt.
„Ja, jemanden brauchen. Niemand kann allein in der Wüste überleben. Zumindest nicht auf Dauer“.
„Und ohne Ehrenkodex geht gar nichts in der Wüste. Darum sind die Wüstenbewohner so stolz“, erwidert sie, eine Olive kauend. „Wie wohl ein Pinguincodex aussieht?“
„Haben denn verschiedene Wüsten jeweils einen anderen Codex?“
Sie zündet eine weitere Zigarette an, inhaliert tief:
„Ich weiß es nicht. Sag Du es mir“.
Rubrik: Ulmenjahr
TheSource - 14. Mär, 18:04
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